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K U R Z G U TA C H T E N 3Netzwerk für Extremismusforschungin Nordrhein-Westfalenpandemie-Leugnung undextreme Rechtein Nordrhein-WestfalenFabian VirchowAlexander HäuslerIm Auftrag von
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander HäuslerZusammenfa s sungcontent sForscher*innen des us der Hoch schule Düsseldorf führten im Zeitraum 1. Juli bis30. September 2020 eine umfangreiche Daten erhebung durch. Diese erlaubt es, nicht nur denUmfang der Proteste in Nordrhein-Westfalen fürdas gesamte Bundesland und seine Regierungsbezirke in Grundzügen abzubilden, sondern auchdas Protestgeschehen in der LandeshauptstadtDüsseldorf exemplarisch darzustellen. Auf derGrundlage der erhobenen Daten stellt CoRE-NRWKurzgutachten 3 zudem relevante Gruppen undStrukturen vor, die die Proteste organisieren bzw.an ihrer Durchführung mitwirken. Es untersuchtPositionierung und Aktivitäten verschiedenerAkteur*innen der populistischen/extremenRechten sowie die relevantesten Verschwörungserzählungen und Schlagworte, die im Rahmendes Protestgeschehens relevant gesetzt wurden.Auch die durch das Geschehen mobilisiertenMilieus skizziert das Kurzgutachten.1 Einleitung32 Methodisches Vorgehen43 Zur Protestdynamik in Nordrhein-Westfalen54 Die Aktivitäten der Pandemieleugnungin Düsseldorf8Zu den AutorenProf. Dr. Fabian Virchow ist Soziologe undPolitikwissenschaftler; er hat an Hochschulenin Kiel, Lüneburg, Salzburg, Marburg undNew York gelehrt und geforscht. Seit 2010ist er Professor für Theorien der Gesellschaft undTheorien politischen Handelns an der HochschuleDüsseldorf. Dort leitet er auch den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus(www.forena.de). Umfangreiche Forschungs-,Vortrags- und Publikationstätigkeit zur Geschichte, Weltanschauung und Praxeologie der extremen/populistischen Rechten liegen vor. AktuelleProjekte befassen sich u.a. mit Praxen der Erinnerung an rechte Gewalt sowie dem Vigilantismus.Alexander Häusler ist Sozialwissenschaftlerund tätig als wissenschaftlicher Mitarbeiter desForschungsschwerpunktes Rechtsextremismus/Neonazismus (Forena). Gemeinsam mit FabianVirchow ist er Herausgeber der Edition Rechtsextremismus bei Springer VS.25 Protestakteure und -strukturen5.1 KommunikationsstelleDemokratischer Widerstand (KDW)5.2 Querdenken5.3 Eltern stehen auf5.4 Parteien und Wahlinitiativen5.5 Medien und Kommunikation6 Positionierung und Auftretender populistischen und extremen Rechten6.1 Alternative für Deutschland6.2 NationaldemokratischePartei Deutschlands (NPD)6.3 Die Rechte6.4 Der III. Weg6.5 Sonstige7 Verschwörungserzählungenim Spektrum der Pandemieleugnung7.1 Erläuterungen zuVerschwörungserzählungen7.2 Verbreitete Verschwörungserzählungender Pandemie-Leugner*innen7.2.1 QAnon7.2.2 Bill Gates und die WHO7.2.3 Zwangsimpfungen7.2.4 Medien und 5G121213141516161719202121232325252628298 Zentrale Begriffe und Fahnenworteder Pandemieleugnung8.1 Freiheit8.2 Demokratie8.3 Frieden und Souveränität8.4 Widerstand31313132329 Milieus der Pandemieleugnung9.1 Esoteriker*innen9.2 Impfgegner*innen9.3 Besorgte Eltern9.4 Reichsbürger*innen9.5 Linke33333434353510 Fazit36Quellen38Literatur42
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander Häusler1 EinleitungDie Covid-19-Pandemie und die zu ihrer Eindämmunggetroffenen Maßnahmen haben die wirtschaftlichen undkulturellen Aktivitäten und das gesellschaftliche Leben inder Bundesrepublik Deutschland nachhaltig beeinträchtigt. Neben der Sorge um die Gesundheit sind erheblicheAuswirkungen auf die ökonomische Existenz vieler Betriebe, das Einkommen abhängig Beschäftigter, die Situationvon Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen sowiehinsichtlich der Einschränkung von Grundrechten zuverzeichnen. Zum Teil sind die von den Regierungen inBund und Land sowie den Verwaltungen erlassenen Maßnahmen auf dem Rechtsweg überprüft und aufgehobenworden. An vielen Stellen wurde auch Protest gegen diebeschlossenen Maßnahmen organisiert.Das sichtbarste Protestgeschehen auf den Straßenund Plätzen wurde von einer inzwischen als Bewegungauftretenden Vielzahl von Einzelpersonen, Gruppen,Netzwerken und Parteien organisiert, die sich selbstals „Freiheitsbewegung“, als „Querdenker“ oder auchals „Corona-Rebellen“ bezeichnen. Sie kritisieren nichteinzelne Maßnahmen, sondern argumentieren entlangder zentralen Behauptung, dass die Covid-19-Pandemienicht gefährlicher sei als eine Virusgrippe (Influenza).Damit leugnen sie die spezifischen Gefahren der Pandemie. Aus diesem Grund bezeichnen wir diese Bewegungals Pandemie-Leugner*innen. In dieser Bewegung gibt eseine Vielzahl von Erzählungen darüber, was der tatsächliche Grund für die Maßnahmen der Regierung sind, dennder eigenen Bewertung nach rechtfertigt die von Covid-19ausgehende Gefahr solche weitreichenden Maßnahmennicht. Ein großer Teil der Redner*innen, Teilnehmer*innen und dieser Bewegung verbundenen Medien folgt zurErklärung Verschwörungserzählungen, deren antisemitischer Gehalt vielfach evident ist; insofern geht es wenigerum die konkret beschlossenen Maßnahmen und deren(vermeintliche) Unverhältnismäßigkeit, sondern um weitreichende politische Zwecke.Im politischen Raum und in den Medien hat es frühVermutungen darüber gegeben, dass die Aktivitäten derverschwörungserzählenden Pandemie-Leugner*innenauch Akteur*innen der populistischen bzw. extremenRechten anziehen könnten bzw. diese Bewegung einensolchen Charakter habe oder annehmen könne (Crolly2020; Frigelj et al. 2020). Das vorliegende Kurzgutachtennimmt solche Überlegungen als Ausgangspunkt und fragtmit Blick auf Nordrhein-Westfalen zentral danach, obdiese Proteste durch Akteur*innen der extremen Rechteninitiiert und gesteuert werden oder ob die extreme Rechtedie von Gruppen wie Querdenken durchgeführten Proteste zu instrumentalisieren versucht. Für eine angemesseneBeurteilung dieser Frage bedarf es der Beschreibung undAnalyse mehrerer Dimensionen; hierzu sind quantitativerUmfang und Dynamik der Proteste ebenso zu untersuchenwie die im Rahmen der Protestversammlungen sichtbarwerdenden Akteur*innen und Milieus. Darüber hinausgeht es um die Darstellung und Analyse der Positionierungder verschiedenen Strömungen der extremen Rechtengegenüber der Covid-19-Pandemie bzw. den staatlicherseits zu deren Einhegung beschlossenen Maßnahmen.Schließlich werden die im Rahmen der Protestversammlungen dargebotenen Erklärungen und zentralen Begriffeeiner kontextualisierenden Darstellung unterzogen; dieserAuseinandersetzung mit Struktur und Inhalt aktueller Verschwörungserzählungen folgt ein Fazit, das die zentralenErgebnisse der Untersuchung zusammenfasst.Zu diesem Zweck haben Forscher*innen des Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus/Neonazismus derHochschule Düsseldorf im Zeitraum 1. Juli bis 30. September 2020 eine umfangreiche Datenerhebung durchgeführt(Kapitel 2). Diese erlaubt es, den Umfang der Proteste inNordrhein-Westfalen für das gesamte Bundesland, aberauch für die Regierungsbezirke in Grundzügen abzubilden(Kapitel 3). Es folgt die exemplarische Darstellung des Protestgeschehens in der Landeshauptstadt Düsseldorf (Kapitel 4). Auf der Grundlage der erhobenen Daten werdensodann relevante Gruppen und Strukturen vorgestellt,die die Proteste organisieren bzw. an ihrer Durchführungmitwirken (Kapitel 5). Im Anschluss an eine Darstellungder Positionierung und der Aktivitäten verschiedenerAkteur*innen der populistischen/extremen Rechten (Kapitel 6) werden die relevantesten Verschwörungserzählungen und Schlagworte aufgegriffen, die im Rahmen desProtestgeschehens relevant gesetzt wurden (Kapitel 8)sowie durch das Geschehen mobilisierte Milieus skizziert(Kapitel 9). Das Kurzgutachten endet mit einem zusammenfassenden Fazit.3
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander Häusler2 Methodisches VorgehenUm den Gegenstand der Untersuchung angemessenbeschreiben und die zentrale Forschungsfrage nach demVerhältnis von extremer Rechter und Protesten gegen diestaatlichen Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemiebeantworten zu können, wurden neben der Berücksichtigung einschlägiger Literatur aus der Protestforschung undzur Ideengeschichte in großem Umfang Daten erhobenbzw. von Dritten erhobene Daten – etwa parlamentarische Vorgänge – berücksichtigt. Für die Abbildung desquantitativen und qualitativen Protestgeschehens wurdenbehördliche Daten ebenso aufgenommen wie die Beobachtungen und Feststellungen der in den fünf Regierungsbezirken Nordrhein-Westfalens tätigen MobilenBeratungsteams in Nordrhein-Westfalen, der beidenOpferberatungsstellen Back Up mit Sitz in Dortmund undOpferberatungsstelle Rheinland mit Sitz in Düsseldorfsowie von Sabra – Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit Beratung bei Rassismus und Antisemitismus. Dengenannten Einrichtungen sei an dieser Stelle ebenso fürihre Mitteilungsbereitschaft gedankt wie dem Antifa-Infoportal Düsseldorf, der Redaktion von duesseldorf-rechtsaussen.de sowie dem Antirassistischen BildungsforumRheinland. Für Mitwirkung an den Demonstrationsauswertungen sowie für Vorarbeiten am Text geht der Dankan Lucius Teidelbaum, Michael Fehrenschild und RainerRoeser.Für das Protestgeschehen in Nordrhein-Westfalen relevante Informationen wurden zudem erhoben in Formeiner Auswertung von Internet- und Facebook-Seitenwichtiger Protestakteure, wie z.B. Querdenken oder Corona-Rebellen Düsseldorf. In beschränktem Umfang wurdeauch die Kommunikation in telegram-Kanälen berücksichtigt, die zu einer bedeutenden Plattform extrem rechterund antisemitischer Kommunikation geworden sind(Glaser 2020). Anlässlich von Versammlungsankündigungen in größeren Städten wurden zehn Kanäle verfolgt undhinsichtlich Informationen zu Strukturen und Kooperationen ausgewertet. Der große Kanal der Corona-RebellenNRW mit über 3.000 Mitgliedern wurde genauer untersucht, insbesondere hinsichtlich einer Einflussnahme undBeteiligung der extremen Rechten. Eine Untersuchungaller Telegram-Kanäle für NRW war im Zuge dieser Studienicht leistbar.4Hinsichtlich der inhaltlichen Positionierung zu Covid-19und der Aktivitäten populistischer/extrem rechter Organisationen und Projekte wurden die jeweiligen Publikationen und Verlautbarungen (on- und offline) berücksichtigt,auch wenn diese nur mittelbar Bezug zur Situation inNordrhein-Westfalen hatten.Im Rahmen von Aufenthalten im Feld haben Forscher*innen an mehreren Versammlungen beobachtend teilgenommen und Feldnotizen erstellt, in denen vor allemEindrücke über die Zahl, soziale Zusammensetzung undPerformanz der Teilnehmenden, Rede- und Musikbeiträge, zur Verteilung bzw. zum Verkauf gekommene Werbemittel und Publikationen festgehalten wurden. Aufgrundder überregionalen Bedeutung und der signifikantenBeteiligung von Akteur*innen aus Nordrhein-Westfalenwurden auch die Versammlungen in Berlin am 1. August2020 bzw. am 29. August 2020 besucht.Die erhobenen Daten wurden entsprechend der diesemKurzgutachten zugrundeliegenden Struktur ausgewertetund unter Nutzung vorliegender Sekundärliteratur – etwazu Verschwörungsdenken – kontextualisiert.
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander Häusler3Zur Protestdynamikin Nordrhein-WestfalenWiderspruch und Protest gegen die zur Eindämmung derCovid-19-Pandemie getroffenen Maßnahmen hat sich aufunterschiedlichste Art und Weise artikuliert; dabei habenneben der Nutzung des juristischen Instanzenwegesinsbesondere das Web 2.0 sowie öffentliche Versammlungen (stationär sowie als Aufzug) Sichtbarkeit für solchePositionen erbracht. Obwohl das Web 2.0 zunehmendeBedeutung für politische Proteste gewinnt (vgl. exemplarisch Sonntag 2013; Sandoval-Almazan & Gil-Garcia2014; Vlavo 2017), haben öffentliche Versammlungen alsAktionsform nicht an Bedeutung verloren. Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen sind weiterhinwichtige Beiträge zur Verstetigung von Protest in Formeiner sozialen Bewegung, als identitätsstiftendes Vergemeinschaftungserlebnis, zur Vernetzung und Ermutigung,zur Rekrutierung von Kadern für die Bewegung sowie zurVermittlung der Lageanalyse, der strategischen und taktischen Orientierung sowie zur Mobilisierung für weitereAktivitäten.Zu den ersten öffentlichen Versammlungen in Nordrhein-Westfalen gehörten beispielweise eine Mahnwache mit 15 Teilnehmenden in Aachen am 11. April 2020,die unter dem Motto Verteidigung unserer Grundrechtedurchgeführt wurde; zehn Tage zuvor hatten in Düsseldorfbereits vier Personen unter dem Motto Wichtige Informationen zu den wirklichen Hintergründen von Coronaöffentlich protestiert. Im Zeitraum zwischen dem 1. Aprilund dem 30. September 2020 wurden in Nordrhein-Westfalen 651 Versammlungen angekündigt bzw. durchgeführt.1 Knapp dreißig dieser Versammlungen wurden vonVertreter*innen einzelner Berufsgruppen durchgeführt,darunter insbesondere Künstler*innen und Gastronom*innen. Dies zeigt, dass vielfach auch Versammlungendurchgeführt wurden, die ohne das Vortragen von Verschwörungserzählungen stattfanden. Über 50 Veranstaltungen wurden von Gruppen der Querdenken-Bewegungorganisiert, etliche weitere wurden von ihr maßgeblichunterstützt. Im Laufe der Zeit hat die verschwörungserzählende Bewegung der Pandemie-Leugner*innen dasProtestgeschehen in Nordrhein-Westfalen zunehmendgeprägt.1In den Monaten April bis September haben dieseProteste, die zum Teil schon deutlich verschwörungserzählendes Profil aufwiesen, in anderen Fällen aberauch konkrete Themen wie die Einschränkungen derVersammlungs freiheit oder ökonomische Folgen – etwafür die Gastronomie – thematisierten, in mindestens77 Städten des Landes stattgefunden. In alphabetischerReihenfolge handelt es sich um die folgenden Städte:Aachen / Bad Driburg, Bad Münstereifel, Bad Sassendorf,Bad Salz uflen, Berg heim, Bergisch Gladbach, Bielefeld,Bocholt, Bochum, Bonn, Bornheim, Brühl / Detmold,Dinslaken, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg / Emsdetten,Eschweiler, Essen / Geilenkirchen, Gelsenkirchen, Greven,Gütersloh, Gummersbach / Hagen, Hamm, Harsewinkel,Hattingen, Heinsberg, Herford, Höxter, Hürth / Ibben bühren, Iserlohn / Kempen, Kerpen, Köln, Krefeld / Ladbergen, Leichlingen, Lemgo, Lennestadt, Leverkusen,Lienen, Lippstadt, Lüdenscheid, Lünen / Minden,Mönchengladbach, Münster / Neuss / Oberhausen /Paderborn / Ratingen, Recklinghausen, Remscheid,Rheinberg, Rheine, Roetgen / Saerbeck, Selm, Siegburg,Siegen, Soest, Solingen, Stadtlohn, Steinfurt / Tecklenburg / Warendorf, Wettringen, Winterberg, Wipperfürth,Witten, Würselen sowie Wuppertal.Wiederkehrende Demonstrationen – zum Teil sogar inwöchentlichem Rhythmus – fanden in Aachen, Bochum,Bonn, Düsseldorf, Hamm, Kempen, Köln, Krefeld, Lüdenscheid, Münster, Oberhausen, Paderborn und Wuppertalstatt. Darüber hinaus gab es im September auch Demonstrationen in Brühl, Heinsberg, Hürth, Roetgen, Soest, Solingen und Winterberg. In den meisten übrigen Orten sinddie Proteste weitgehend zum Erliegen gekommen. DasMitführen von Ortstafel-Schildern oder Transparentenmit Verweisen auf den Herkunftsort der Protestierendenlegen die Vermutung nahe, dass sich die Protestaktivitätstärker auf zentralere Versammlungen konzentriert.Wir schließen nicht aus, dass trotz einer systematischenSuche weitere Veranstaltungen stattgefunden haben. Fürentsprechende Hinweise danken wir.5
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander HäuslerIn Nordrhein-Westfalen fanden im Zeitraum von April bisSeptember 2020 mindestens 24 Protestversammlungenstatt, an denen mehr als 250 Personen teilgenommenhaben.2Hinsichtlich der fünf Regierungsbezirke Nordrhein-Westfalens lässt sich folgende Verteilung des Versammlungs geschehens feststellen:OrtDatumZahl 0RB ArnsbergDortmund09.08.20202.800RB Detmold1144Düsseldorf09.05.2020300RB Düsseldorf1515616.05.2020350 – 600RB Köln2028323.05.2020300RB Münster175230.05.202030013.06.2020400 – 1.00020.06.20201.100 – 1.50027.06.202090004.07.2020350 – .202025016.05.2020400 – 20201.00026.09.20201.300Münster12.09.2020250 – 360Wuppertal30.05.202060026Zur Ermittlung der Zahl von Menschen, die an einer öffentlichenVersammlung teilgenommen haben, gibt es verschiedeneVerfahren, wie beispielweise die Ermittlung der Flächendichte,die Zählung von Reihen, die händische oder automatisierteZählung von Teilnehmenden (vgl. Yip et al. 2010; Choi-Fitzpatricket al. 2018); die hier berücksichtigten Zahlen stammen ausverschiedenen Quellen, wie z.B. der Medienberichterstattung,einer Erhebung des Landesamtes für Zentrale PolizeilicheDienste, Recherchen im Internet sowie vor-Ort-Recherchen. AllenVerfahren ist eine gewisse Unschärfe zu eigen, da beispielsweisemanche Teilnehmende nur zu der Abschlussveranstaltungkommen, andere die Versammlung frühzeitig verlassen. Insofernbilden die Zahlen nur eine ungefähre Größenordnung ab.Zahl der Städtemit ProtestZahl derVersammlungen15116Die folgenden Diagramme zeigen die Zahl der Protestversammlungen in Orten und Städten der jeweiligenRegierungsbezirke Nordrhein-Westfalen; die senkrechtey-Achse weist die Zahl der Versammlungen in absolutenZahlen aus (Grafiken: eigene Darstellung).
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander Häuslerdie bislang höchste Anzahl von öffentlichen Protestversammlungen zu verzeichnen. Ab Juni 2020 hat sich dieStadt Düsseldorf zum überregionalen Demonstrationsortfür unterschiedliche regionale Protestakteure aus Nordrhein-Westfalen entwickelt.Die Protestdynamik ist darüber hinaus durch folgendeCharakteristika gekennzeichnet:1. Im April gibt es zunächst zahlreiche kleinere Versammlungen; nach einer Steigerung der Zahl der Protestierenden in den großen Städten bis Mitte/Ende Mainimmt das Protestgeschehen im Juni und Juli 2020deutlich ab. Die bundesweiten Demonstrationen inBerlin am 1. bzw. 29. August sorgen für einen erneutenAufschwung der Proteste, u. a. in Form der Reaktivierung zwischenzeitlich eingestellter Aktivitäten.2. Etwa ein Fünftel der Protestveranstaltungen wurdenals Meditationen angekündigt. Zu dieser Protestformhatten u. a. Ken Jebsen und Kai Stuht aufgerufen.Letztgenannter verwendet den Begriff der IgnoranceMeditation, da sie sich gegen die „Ignoranz der Politik“ wie gegen die „Ignoranz in jedem Einzelnen“ (zit.nach Röther 2020) richte. Die Zahl der Teilnehmendenbei diesen Mediationen blieb in Nordrhein-Westfalenmeist im niedrigen bis mittleren zweistelligen Bereich.3. Es hat sich ein überregional mobilisierbarer Kern vonProtestierenden herausgebildet, der bei guter Koordination und Mobilisierung an wechselnden Orten zurregelmäßigen Mitwirkung überzeugt werden kann.Viele der Teilnehmenden kennen sich inzwischen undbegrüßen sich persönlich. So erhob beispielsweise aufder Demonstration in Düsseldorf vom 20. September2020 mindestens die Hälfte der Teilnehmer*innen dieHände auf die Frage hin, wer von ihnen in Berlin mitdemonstriert habe.Die geographische Verteilung der Protestversammlungenverdeutlicht, dass es Protest gegen die Einstufung von Covid-19 als Pandemie, daraus abgeleiteter Einschränkungendemokratischer Grundrechte oder von Schutzmaßnahmenin Nordrhein-Westfalen flächendeckend gegeben hat.Insgesamt ist das Protestgeschehen im kleinstädtischenund ländlichen Raum deutlich geringer ausgeprägt als inden Großstädten. In den Städten Köln und Düsseldorf ist4. Erkennbar ist eine zunehmende organisatorischeProfessionalisierung der Protestversammlungen inden Städten, die sich als Schwerpunkte herausgebildethaben. Diese Professionalisierung scheint vielerortsu. a. auch begründet durch einen Anschluss an die ausStuttgart stammende Querdenken-Bewegung. Dabeiwird eine einheitliche Namensgebung (Querdenken Telefonvorwahl Ort) und Symbolsetzung übernommen.7
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander HäuslerAus einer Vielzahl zunächst dezentral auftretender Proteste ist eine soziale Bewegung entstanden. Wie alle sozialenBewegungen weist auch diese Bewegung eine gewisseHeterogenität auf, die sie zwingt, sich immer wieder überdie thematische Ausrichtung und die nächsten Aktionenzu verständigen, was notwendig auch Fragen von Ein- undAusschluss hervorruft (Wer gehört dazu? Wer nicht?).Insbesondere mit den beiden Großveranstaltungen inBerlin im August 2020 gibt es inzwischen zentrale Bezugspunkte einer eigenen Bewegungsgeschichte, auf dieRedner*innen wie Teilnehmende auch sichtbar rekurrieren, z. B. durch T-Shirts mit den entsprechenden Daten.Zu dieser Erzählung der Bewegung über sich selbst wiezum politischen Ausdruck der Bewegung zählen auch diePersonen, die die Bewegung in ihren Positionen und Handlungen nach außen repräsentieren (Organisator*innen;Redner*innen), von Teilnehmenden in der Öffentlichkeitgezeigte Parolen und Symbole sowie die bei den Versammlungen gehaltenen Reden bzw. gespielten Songs.4 Die Aktivitäten derPandemieleugnung in DüsseldorfDie Landeshauptstadt Düsseldorf hat sich zu einem Zentrum der verschwörungserzählenden Pandemieleugnungin Nordrhein-Westfalen entwickelt. Dabei lässt sich aufder Grundlage einer kontinuierlichen Beobachtung derVersammlungen ein exemplarischer Einblick in die Entwicklung des lokalen Protestgeschehens und der Radikalisierung der Bewegung geben.Begonnen haben die sog. Anti-Corona-Proteste in Düsseldorf Anfang April 2020 zunächst mit einer verschwindendgeringen Zahl von Teilnehmenden und unklarer organisatorischer Urheberschaft. Mit einem behördlich nichtangemeldeten „Spaziergang“ zum Gebäude des LandtagsNordrhein-Westfalens am 25. April, zu dem in der Telegram-Gruppe mit dem Namen !NUR!ORGA & TERMINE Corona-Rebellen NRW aufgerufen worden war, begann einemeist wöchentliche, vereinzelt auch mehrmals wöchentlich stattfindende Protestserie. An der ersten Versammlung nahm etwa ein Dutzend Personen teil.Wenige Tage später wurde die Telegram-Gruppe Corona-Rebellen Düsseldorf (CRD) ins Leben gerufen und zueiner weiteren Versammlung am 2. Mai am Burgplatzaufgerufen, einer der Sehenswürdigkeiten der StadtDüsseldorf an der Rheinpromenade. Eine Nutzerin derTelegram-Gruppe mit dem Namen „Maja“ schrieb: „AmBesten wie KenFM mit Decke zum Meditieren .“; zuden Teilnehmenden der ersten Versammlungen der CRDgehörte u. a. Sven B., ehemaliges Mitglied im Landesvorstand von Pro Deutschland und nach deren Auflösungbei den Patrioten NRW aktiv. Gefilmt werden die Kundgebungen regelmäßig von dem rechten Video-AktivistenKevin G. aus Krefeld, der die Aufnahmen über seinenYouTube-Kanal verbreitete. Schauplatz der CRD-organisierten Versammlungen war regelmäßig der Burgplatz, bisdies seitens der Verwaltung verunmöglicht wurde; einigeregelmäßig teilnehmende Aktivisten verkleiden sich dabeials Superhelden, andere tragen offen antisemitische Parolen zur Schau. Auf Videos, die die Erstürmung der Treppendes Reichstagsgebäudes am 29. August in Berlin zeigen,sind auch Mitglieder dieser Gruppe zu sehen (Neubauer2020). Die Organisator*innen der CRD arbeiten auch mitden Querdenken-Gruppen zusammen.Am 9. Mai 2020 nahmen etwa 300 Personen an einerCRD-Kundgebung auf dem Burgplatz mit anschließendem„Spaziergang“ zum Landtag teil, darunter auch die extremrechte Bruderschaft Deutschland. Diese hatte bereits seit8
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander Häuslerdem 5. Mai auf ihrer Facebook-Seite dazu mobilisiert: „EinSpaziergang an der frischen Luft kann ja nicht schaden.vor allem nach einem faulen Wochenende ;)“. Ein geteiltesBild forderte zudem zu regelmäßigen Aktivitäten auf: „AbMorgen, jeden Montag um 19.00 wird jeder aufgefordertin seiner eigenen Stadt spazieren zu gehen! Uhrzeit undTag ist fest! In Anlehnung an die Montags Demos 89 .wichtig nur spazieren gehen! Vielleicht kannst du dassTeilen Und Mitmachen.“ (Bruderschaft Deutschland 2020;Fehler im Original). Aufgrund der Mobilisierung nahmenca. vierzig Mitglieder der extrem rechten BruderschaftDeutschland und deren Umfeld an der Kundgebung derCRD teil. Einige der Teilnehmenden trugen T-Shirts undSchilder mit der Aufschrift Gib Gates keine Chance, die hinsichtlich Schriftart und grafischer Gestaltung der Warnungvor dem HIV-Virus nachempfunden sind. Weitere Schilderrichteten sich gegen „Impfzwang“, die „Gesundheitsdiktatur“ und die Weltgesundheitsorganisation (World HealthOrganization/WHO). In einem Karton lag das Grundgesetzin Buchform aus. Relativ viele Personen führten Zeitungender Gruppe Demokratischer Widerstand mit sich. Es wurden Kleidungsstücke mit Aufschriften wie „Lügenpressehalt die Fresse“ oder „Wenn Unrecht zu Recht wird, wirdWiderstand zur Pflicht!“ getragen. Nach der Kundgebungwurde vom Burgplatz aus zu einem „Spaziergang“ aufgerufen, der am Gebäude des nordrhein-westfälischen Landtags endete. Auf den Treppen des Landtages posiertenanschließend Mitglieder der extrem rechten BruderschaftDeutschland gemeinsam mit weiteren Teilnehmenden derDemonstration für Gruppenfotos.3Waren die Protestaktionen der CRD zunächst nichtbehördlich angemeldet, so änderte sich dies mit derKundgebung vom 30. Mai 2020. Als Anmelder tritt seitdemvielfach Bernd B. auf, der in der Frühphase der Die Grünendort aktiv war, später dann an den extrem rechten Aktivitäten von DÜGIDA (Düsseldorfer gegen die Islamisierungdes Abendlandes) teilnahm und bekennender Wählerder AfD ist (Kensbock 2020). Organisatorische Aufgabender CRD übernimmt Sascha Vossen, ein Anhänger derReichsbürgerbewegung aus Jüchen, der zugleich auf denKundgebungen als Rap-Musiker unter dem Namen MasterSpitter auftritt (ebd.). Er ist Mitglied der Telegram-GruppeCoronaRebellen Düsseldorf und Administrator bei denNRW-CoronaRebellen.Die Veranstaltungen in Düsseldorf weisen zunehmendritualisierte Abläufe sowie eine organisatorische Professionalisierung auf. Es werden Redner*innen eingeladen, die3https://www.youtube.com/watch?v Ply4oy8mNLs&feature youtu.be&t 4765in der Protestszene einen gewissen Bekanntheitsgrad haben, wie beispielsweise am 11. Juli 2020 der UnternehmerMario Buchner oder am 18. Juli 2020 der RechtsanwaltMarcus Haintz; zudem wird regelmäßig die Möglichkeitangeboten, dass Demonstrationsteilnehmende ein sogenanntes „offenes Mikrofon“ nutzen können, um eigeneStellungnahmen abzugeben. Bei solchen Gelegenheitenwird eine große Bandbreite an Weltdeutungen sichtbar.Beispielsweise bekundete am 30. Mai 2020 eine Rednerin ihre Sorge vor Pädophilie und Menschenhandel, eineandere warnte vor der Macht des Satanismus, und einweiterer Redner beklagt den fehlenden Stolz auf „unsereAhnen“ (Gabbe 2020).Parallel zur organisatorischen Professionalisierung war zunächst ein temporärer Anstieg der Zahl der Protestierenden von ca. 300 auf etwa 1.000 Personen (13. Juni 2020)beziehungsweise auf ca. 1.500 Personen (20. Juni 2020)festzustellen. Meist lag die Zahl der an den Versammlungen Teilnehmenden zwischen 250 und 1.000 Personen, imSeptember ging die Zahl erkennbar zurück.Eine gesondert zu betrachtende Versammlung fand am20. September 2020 auf den Rheinwiesen in Düsseldorfstatt; diese wurde von der Gruppe Querdenken aus Dortmund organisiert. Angemeldet wurde diese Veranstaltungvon einem ihrer Mitglieder, der zugleich bei den CRD fürdie Veranstaltungsbeschallung sorgt (Kensbock 2020). Einer bundesweiten Mobilisierung – zunächst waren 50.000Teilnehmende angekündigt worden – folgten schließlich3.000 bis 4.000 Demonstrierende. Im Nachgang schilderteBastian Fleermann, der die Veranstaltung in seiner Eigenschaft als Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorfbeobachtete, seinen Eindruck pointiert: „Trump-Fans,Impfgegner, Leute mit Aluhut, Leute mit Schamanentrommel, aggressive Maskengegner, Diktatur-Behaupter,Familien mit Kindern, Lügenpresse-Rufer, Compact-Leser, Anhänger der antisemitischen Q-These und andereNazis, ein ‚Indianer‘, ein Typ in einem ‚Superman‘-Kostüm,Esoteriker, Kosmiker, Parapsychologen sowie eine Frau imDirndl, die ein selbst gebasteltes germanisches Sonnenrad mit sich trug, haben uns beschimpft und ausgelacht,weil wir Masken trugen. Es waren vielleicht 3.000 stattder angekündigten 50.000. Einer trug ein Schild, auf demstand, wir wären ‚mitten in 1933‘. Es ist zum Jammern.“(Fleermann 2020)In der Gesamtschau der Düsseldorfer Protestversammlungen, die sich auf vor-Ort-Beobachtungen sowie dieAuswertung des insbesondere auf Youtube auffindbarenVideomaterials stützen kann, lässt sich die von den Veranstalter*innen der Versammlungen vielfach wiederholtenStatements, man sei gegen jeden Extremismus, nicht9
Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen / Fabian Virchow & Alexander Häuslerhalten. Vielmehr lässt sich die regelmäßige Teilnahmevon Mitgliedern und Anhänger*innen verschiedenerpopulistischer und extrem rechter Organisationenund Netzwerke nachweisen. Diese umfassen die AfD,die Partei Die Republikaner, die zum damaligen Zeitpunktnoch in Düsseldorf im Rat der Stadt vertreten waren, dieehemaligen PRO-Parteien und Wählervereinigungen, aberauch Akteur*innen aus dem Spektrum der Reichsbürger,der Identitären Bewegung, von Pegida NRW sowie vonGruppen wie Mönchengladbach steht auf, aber auch derBruderschaft Deutschland und den Steeler Jungs Essen/First Class Crew, die ihre Aktivist*innen aus dem Kreisrechter Hooligans sowie des Neonazismus rekrutieren.Wiederkehrend und zum Teil regelmäßig gestreamtwurden die CRD-Kundgebungen bislang auch von rechten Bloggern und den Medienportalen Patriot on Tour,German Defence 24 und Protest Media.Kaum kritisch thematisiert wird auch das Mitführen vonschwarz-weiß-roten Reichsfahnen; in einer Abstimmungin der CRD-Telegram-Gruppe votierten auf die Frage „Wiesteht ich zu der schwarz-weiß-roten Fahne auf unserenDemos?“ 26 Prozent für die Aussage Es stört mich, 14 Prozent für die Aussage Die stört mich nicht./Ist mir egal./ Habda keine Ahnung von sowie 60 Prozent für die Au
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