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01/2019 JAN/FEBNACHRICHTEN AUS TECHNIK, NATURWISSENSCHAFT UND WIRTSCHAFTDas Regionalmagazin fürundUrbaneProduktionund LogistikEventkalender & AktuellesMünchener VDE Abend 2018VDI Preis 2018

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EDITORIALRolle rückwärtsFoto: Roland MaierISilvia StettmayerRedaktion TiBm Frühjahr dieses Jahres machte micheine Meldung aus dem Wirtschaftsressort neugierig: Der Möbelriese IKEA legtseine Planungen für neue Möbelhäuser inStadtrandlagen – unter anderem in Memmingen und Ingolstadt – auf Eis und suchtstattdessen attraktive Innenstadtlagenfür neue Filialen. Wichtig sind eine ausgezeichnete ÖPNV-Anbindung und durcheine zentrale Lage eine gute Erreichbarkeit auch ohne Auto. Auch plant die Firmawegen des zunehmenden Onlinehandelssechs bis neun neue Verteilzentren inDeutschland.Wer die bisherige Strategie des seit bald45 Jahren in Deutschland ansässigen Unternehmens verfolgt hat, weiß, dass die53 Möbelhäuser auf der grünen Wieseein Erfolgskonzept sind und wundert sichüber diese „Rolle rückwärts“ in der strategischen Planung. Johannes Feber, IKEAExpansionschef, sagt dazu: „Wir sind sehrerfolgreich mit IKEA am Stadtrand. DiesesKonzept hat uns groß werden lassen. Wirglauben aber auch, dass der weitere Wegein anderer sein wird.“Diesen anderen Weg würde ich etwas plakativ mit „Leben und Einkaufen wieder vereinen“ umschreiben, denn er spiegelt dengesellschaftlichen Wandel mit all seinenAusprägungen wider.„Die Idee einer neuen Symbiose von Stadtund Industrie ist höchst komplex“Die zunehmende Urbanisierung, eine sichverändernde Mobilität und der stark steigende Online-Handel zwingen zum Umdenken. In Zukunft werden viele Firmendiesen neuen Weg bestreiten (müssen) –nicht nur aus dem Konsumgüterbereich.Technik in Bayern 01/2019Vorausgesetzt, wir gehen diesen anderenWeg konsequent weiter, dann bringen wirauch Leben und Arbeiten wieder zusammen und kommen zum VDI-Jahresthema„Urbane Produktion und Logistik – Produktion in der Mitte der Gesellschaft“.Nun stellt die Idee, produzierende Industriebetriebe und Logistikunternehmen wieder im urbanen Umfeld anzusiedeln, dieEntwicklung der letzten Dekaden auf denKopf, denn die moderne Stadtplanung warviele Jahrzehnte geprägt durch die Chartavon Athen (1933). Auf diesem Kongresswurde von Architekten und StadtplanernDie funktionale Stadt diskutiert und durchdie Umsetzung dieser Charta änderte sichder Städtebau radikal. Mit Nachdruck wurden die jahrhundertealten Mischformenvon Wohnen und Industrie aufgelöst, dieProduktion entschwand aus den Augenund aus dem Sinn. Bis heute sehen wir imurbanen Raum hochverdichtete, funktional getrennte Wohn- und Arbeitsquartiereund allzu oft die Bausünden der „autogerechten Stadt“. Dass die Anziehungskraft der Städte weiter zunehmen wird, istsicher. Nicht nur Metropolregionen, auchMittel- und Oberzentren werden viele junge, hochqualifizierte Menschen anlocken.Deren Lebensentwürfe sind agil und mobil, wobei hier mit Mobilität nicht dasstundenlange Pendeln zum Arbeitsplatzgemeint ist.Nun ist diese Idee einer neuen Symbiosevon Stadt und Industrie höchst komplexund vielleicht denken wir hier auch das Undenkbare. Bevor wir uns allerdings völligvon unserer produzierenden Industrie entfernen und dem drohenden InfrastrukturKollaps erliegen, ist ein Blick in diese Ausgabe zu dieser Vision ratsam. Lassen Sie sichinspirieren!Viel Spaß beim Lesen wünscht3

Foto: MagazinoUrbane Produktion und LogistikDas VDI-Jahresthema 2018 richtet den Fokus verstärkt auf Standortentwicklungund -sicherung von Produktions- und Logistikunternehmen im Ballungsraum.In unserem Schwerpunkt beleuchten wir das Thema und zeigen an Beispielen, wieProduktion im städtischen Raum schon heute funktionieren kann.SCHWERPUNKT06Unser Ziel ist das ganzheitliche Konzept 09Produktion im städtischen Raum 12Roboter in Laim 15Urbane Logistik sorgt für frisches Bier 16Jean HaeffsInterview mit Johannes FottnerMichael HertwigSilvia StettmayerS. 12Quelle [12]: siehe S. 14 , Michael Hertwig, Fraunhofer IAONeue Symbiose von Stadt und Industrie Robert OettlWenn der Paketbote zehnmal klingelt 19Hellerau – Einheit von Wohn- und Arbeitsstätte 20Cathrin CailliauDer historische Hintergrund von Sebastian Kasper4Sekundäre Effekte der Maßnahme Shuttle-SystemTechnik in Bayern 01/2019

Suchen Sie eineDolmetscherin?INHALTHOCHSCHULE UND FORSCHUNGVDI-TUM Expertenforum: Spannung im 3D-Druck Andrea Voit, TU München28AKTUELLESVDI-AK Aktuelles Forum Technik: Züge in dünner Luft VDI-BV München: VDI Familientag 2019 in Landshut VDI Philharmonie – wer macht mit? VDI BV München: VDI Preise 2018 VDE Südbayern: Münchener VDE Abend 2018 VDE Südbayern: Einladung zur Mitgliederversammlung 2019 VDI LV Bayern, BV München VDI: Forum 2018 VDI BV Bayern Nordost: Cramer Klett Preis 2019 VDI BV Bayern Nordost: VDI Innovationspreis VDI Studenten und Jungingenieure: EYE - Emerging Tech VDI BV München: Einladung zur Mitgliederversammlung 2019 VDI-AK „Digitalisierung & Nachhaltigkeit“ Nordost: Neuer AK VDI-AK Qualitätsmanagement München: Neue Leitung VDI BV München: Sieger des Fotowettbewerbs 2018 2223232426293233343637384447Veranstaltungskalender 39Buchbesprechungen 48Ausstellungstipp 49Impressum 49Cartoon 50Vorschau 50Quali kationSpezialisierungVDI Landesverband BayernVDI Bezirksverein München, Ober- und Niederbayern e.V.Westendstr. 199, D-80686 MünchenTel.: (0 89) 57 91 22 00, Fax: (0 89) 57 91 21 61www.verein-der-ingenieure.de, E-Mail: [email protected] Bezirksverein Bayern Nordost e.V.c/o Ohm-Hochschule, Keßlerplatz 12, D-90489 NürnbergTel.: (09 11) 55 40 30, Fax: (09 11) 5 19 39 86E-Mail: [email protected]: VDI GPLTechnik in Bayern 01/2019VDE Bayern, Bezirksverein Südbayern e.V.Hohenlindener Straße 1, D-81677 MünchenTel.: (0 89) 91 07 21 10, Fax: (0 89) 91 07 23 09www.vde-suedbayern.de, E-Mail: [email protected] für Ihre Branche:unsere Fachliste Technik- Kontaktdaten von mehr als 340 qualifiziertentechnischen Übersetzern und Dolmetschernaus dem gesamten Bundesgebiett- mehr als 30 Sprachen und über200 technische Fachgebiete- kostenlos erhältlich per E-Mailan [email protected] oder- direkt herunterladen unterfachliste-technik.bdue.deBDÜ Expertenservice2017 2018Die Redaktion der TiB wünscht allenLeserinnen und Lesern ein Frohes Festund Alles Gute für das Neue Jahr!Titelbild: EUEUPP-Im-ImI agagesgesgeesRUBRIKENFachliste TechnikSpezialisierteÜbersetzer/innenfür mehr alsund Dolmetsc30 Sprachenher/innenund über 200FachgebieteBundesverband der Dolmetscher und Übersetzere. V. (BDÜ)

Neue Symbiose von Stadt undIndustrieBereits heute lebt mehr als dieHälfte der sieben MilliardenErdbewohner in Städten. DasJahr 2008 markierte hier einenhistorischen Wendepunkt: Esleben mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Auch inZukunft wird sich der Trend zur„Urbanisierung“ laut Untersuchungen der Vereinten Nationen ungebremst fortsetzen unddieser Anteil auf knapp 70 Prozent ansteigen. Schon deshalbmüssen die Städte von morgennachhaltig, lebenswert und zukunftsfähig werden. Um das zuerreichen, kann und muss einAspekt die urbane Produktionim Ballungsraum sein.Produzierende Unternehmen wurdenin den vergangenen 100 Jahrenzunehmend aus dem Stadtbild verdrängt. Vor allem hohe Grundstückspreiseund wenig Verfügbarkeit in den Ballungsräumen, zunehmende Mobilität der arbeitenden Bevölkerung und Umweltaspekte(Image der „dreckigen“ Produktion) führten zu dieser Entwicklung. Die Entwicklungzog jedoch auch eine Entfremdung weiterTeile der Gesellschaft von Standorten fürProduktion und Logistik nach sich.Vorteile urbaner Produktion undurbaner LogistikDie Vorteile urbaner Standorte sind vielfältig. Tendenziell bieten die städtischenRäume ein höheres Maß an qualifiziertenFachkräften und Hochschulabsolventen;die Nähe zu Lieferanten und Dienstleis tern vereinfacht die Kommunikation und6Kooperation mit Zulieferern und Kundenund kann damit eine Grundlage für mehrInnovation und Effizienz sein; die Nähezu Forschungs- und Technologiezentrenwie Forschungsinstituten und Hochschulen im städtischen Umfeld erleichtert denZugang zu Wissen und Innovation unddessen Transfer ins Unternehmen. Zudem bietet die Stadt aufgrund tendenziellkurzer Wege für die Mitarbeiter nicht nurneue Möglichkeiten zur Arbeitszeitflexibilisierung und für neue Arbeitszeitmodelle,sondern auch neue Ansätze für z. B. dieEntgrenzung bei Erreichen der Ruhestandsaltersgrenze: so könnten bereits aus demBerufsleben ausgeschiedene Mitarbeiterkurzfristig reaktiviert werden, die dann„kurz im Betrieb vorbeischauen“, um Spitzenlasten mit auszugleichen, Problemezu lösen oder jüngeren Mitarbeitern aufgrund ihrer größeren Erfahrung Hinweisezu geben und auf diese Weise den Wissenstransfer zu verstetigen. Kurze Wege undflexible Arbeitszeitmodelle ermöglichenzudem für alle eine Verbesserung der Integration von Arbeit und Privatleben sowieeine Weiterentwicklung der Integration vonArbeit und Familie. Damit entstehen neueMöglichkeiten für die Betreuung und Pflege von Angehörigen wie Kindern, Krankenund Senioren sowie z. B. für die integrativeAusübung von Freizeitaktivitäten.Werden Güter für die unmittelbare Umgebung des Produktionsstandorts hergestellt, können weitere Vorteile durch dieNähe zum Absatzmarkt sowie zu den einzelnen Kunden erzielt werden. Die räumliche Nähe verringert Aufwand in der Logistik und unterstützt die Vermeidung energieintensiver Transporte durch die lokaleProduktion. Die Nähe zum Kunden vereinfacht auch dessen Einbindung in Unternehmensprozesse (Beispiele sind das „Customizing“ und die „Stückzahl 1“) und unterstützt damit auch eine engere Bindungdes Kunden an das Unternehmen. Modellezur gemeinsamen Nutzung von Energie,Wärme, Kälte usw. sowie von Infrastrukturwerden aktuell nur als visionäre Konzepteverfolgt; daraus ergeben sich weitere ökonomische und ökologische Potenziale.Herausforderungen urbanerProduktions- und Logistik-StandorteAllerdings bringen Standorte in der Stadtauch einige Nachteile mit sich: Die tendenziell hohe Zahl an Staus in Ballungsräumenführt zu einer schlechten Erreichbarkeitder Unternehmen. Weitere Nachteile können aus einer mangelnden Verfügbarkeitvon Flächen sowie den meist hohen Flächenkosten resultieren, die zu höheren Fix kostenanteilen für Unternehmen führen,die im urbanen Raum produzieren.Altlasten in den Böden und Flächennutzungskonflikte (Beispiel: Wohnungsbau)sind weitere Faktoren, die den Erhalt undAusbau von Produktionsbetrieben in urbanen Räumen erschweren. Hinzu kommtdie fehlende Akzeptanz der Anwohner, Industriebetriebe in ihrer Nähe zu dulden.An vielen Orten in Deutschland gibt esstrategische Rahmenpläne für Industrieentwicklung. Häufig fehlt die konsequente Verknüpfung von Wirtschafts-, Stadtund Kulturentwicklung. Gleichzeitig sinddie Voraussetzungen von Stadt zu Stadthöchst unterschiedlich.Die Lösung liegt in der (Re-) Integrationvon Produktion und Logistik in die Ballungszentren und in das alltägliche Leben der Bewohner, denn wir brauchen dieRenaissance der urbanen Produktion –also die Herstellung, die Verarbeitungund der Versand materieller Güter indicht besiedelten Gebieten. Das übergeordnete Ziel dabei ist die physische Verschmelzung von Produktionsort, Arbeitsund Absatzmarkt im Umfeld städtischerBallungsräume. Zudem geht es um dieoptimale räumliche Verteilung kompletter Produktionsprozesse im urbanen Ballungsraum. Denkbar ist beispielsweisedie Herstellung von Vorprodukten undTechnik in Bayern 01/2019

SCHWERPUNKTKomponenten außerhalb und die Endmontage oder Konfiguration individuellerProdukte in Kundennähe in der Stadt. Umzu solchen langfristig optimierten Lösungen zu gelangen, sind kreative und ganzheitliche Ansätze erforderlich, welchedie Chancen nutzen und die Risikenminimieren. Diese Ansätze zu denken, zuplanen, zu realisieren und zu betreiben istnicht zuletzt Aufgabe von Ingenieuren.Verbunden sind damit eine ganze Reihenegativer Entwicklungen:Quelle: Fotolia 6824Diese zunehmende räumliche Konzentration in Ballungszentren erzwingt ein Umdenken in vielen Bereichen, insbesondere beider Stadtentwicklung und -planung. Damitunsere Städte auch morgen noch lebenswert sind, brauchen wir nachhaltige Zukunftskonzepte, u. a. die (Re-) Integrationvon Produktion und Logistik in den urbanen Alltag.Noch vor hundert Jahren waren produzierende Unternehmen selbstverständlicherTeil des Stadtbildes. Eine funktionierendeSymbiose aus Wohnen und Wirtschaftprägte die Strukturen der Regionalzentren.Leben und Arbeiten waren untrennbarmiteinander verbunden – so schien es zumindest. Schleichend aber unaufhaltsamwurden die Firmen jedoch aus den Städtenverdrängt. Vor allem schrumpfende Flächenund gleichzeitig steigende Grundstückspreise in den Ballungsräumen, die Entwicklung von Industriegebieten in den Außenbereichen der Ballungsräume aber auchdie zunehmende Mobilität der arbeitendenBevölkerung und schärfere Umweltvorschriften trieben diese Entwicklung voran.Technik in Bayern 01/2019 Eine wachsende Entfremdung weiterTeile der Gesellschaft von Industrie undproduzierendem Gewerbe, der ökonomischen Basis unseres Wohlstands. Zudem steht die städtische Infrastrukturkurz vor dem Kollaps durch den intensiven Personen- und Güterverkehr, den Unternehmen „auf der grünen Wiese“ verursachen. Auf der anderen Seite sinkt die Mobilität von Personen und Gütern tendenziell aufgrund der Trends zu einerausgewogenen Work-Life-Balance, derzunehmende Alterung der (berufstätigen) Gesellschaft und der ständigenVerteuerung der Transportkosten.Diesen komplexen, dynamischen Veränderungsprozessen ist das bisherige Konzeptder außerstädtischen, zentralen Produktion für den weltweiten Markt nicht mehrgewachsen. Erforderlich ist stattdessenein alternativer Lösungsansatz mit Fokusauf die Reintegration von Produktion undLogistik in die Ballungszentren und in dasalltägliche Leben der Bewohner, mit anderen Worten: die Renaissance der UrbanenProduktion.Grundsätzlich versteht man dabei unter„Urbaner Produktion und Logistik“ die Herstellung, die Verarbeitung und den Versand von materiellen Gütern in dicht besiedelten Gebieten. Ziel ist die physische Verschmelzung von Produktionsort, Arbeitsund Absatzmarkt im Umfeld städtischerBallungsräume.Die urbane Produktion bringt strategischeVorteile für alle Stakeholder. Beispielsweise bergen städtische Räume die weitausgrößten Reserven an qualifizierten Fachkräften und Hochschulabsolventen – deren Mangel ist derzeit einer der akutenWachstumsbremsen unserer Wirtschaft.Zudem werden die Wege im Netzwerk vonKunden, Lieferanten und Dienstleisternkürzer, was die Kommunikation und aktive Kooperation miteinander vereinfacht.Auch die Nähe zu Forschungs- und Tech-7

SCHWERPUNKTnologiezentren im städtischen Umfeld istnicht zu unterschätzen. Dies erleichtertden Zugang zu Wissen und Innovation undden Transfer in die Unternehmen hinein.Aber, es wäre unredlich die nicht unerheblichen Herausforderungen zu verschweigen, die mit einer Zunahme von Produktionin der Stadt verbunden sind. Natürlich wecken neue Hochspannungsleitungen, Windparks, Flughäfen und Bahnhöfe sowie vieleandere Großprojekte regelmäßig Widerstand in der Bevölkerung. Daher verlangtdie Nähe zum Wohnen emissionsärmereund ressourceneffizientere Standorte alsheute üblich. Doch genau diese – unddarüber hinaus viele weitere – Fragestellungen sollen erörtert werden, wenn alleam Prozess Beteiligten zur Diskussionund Lösungsfindung an einen Tisch kommen. Im Mittelpunkt müssen dabei dieArgumente stehen, die für eine stärkere Integration produzierender Industrie und Logistikunternehmen in den Ballungsräumensprechen und die Voraussetzungen, die füreine erfolgreiche Umsetzung erfüllt seinmüssen. Das möchte der VDI initiieren.Der VDI vertritt hierzu 3 Standpunkte: In der Stadt der Zukunft sind Industrie undWarenverkehr (wieder) integraler Teil vonLeben und Gesellschaft. Das kann nurgelingen durch die räumliche Nähe undihre neuen Optionen für Arbeitnehmer,Unternehmen und Gesellschaft, aberauch moderne Konzepte zur Verkehrsinfrastruktur und durch Ressourceneffizienz und geringe Emissionen.8 Aktives Beziehungsmanagement ist fürurbane Produktions- und Logistikunternehmen der Schlüssel zu nachhaltigemErfolg, denn nur die Information derBürger vermittelt den Mehrwert von Industrie. Die Unternehmen müssen dazueine professionelle Öffentlichkeits arbeitund ein Stakeholdermanagement beisich verankern, Mitarbeiter zu Gesichternund Botschaftern der Unternehmen machen, sich gesellschaftlich engagierenund mit Politik und Verwaltung intensivund regelmäßig austauschen; und soden „Risiken“ bei Genehmigungsverfahren vorbeugen. Mit einer zeitgemäßen Kommunika tionskultur können Kommunen wertvolleStandortvorteile gewinnen, denn UrbaneProduktions- und Logistikstandorte bieten für Städte den Vorteil, dass Wertschöpfung und Beschäftigung am Standort bleiben. Dazu müssen sie eine Beteiligungskultur in Verwaltungen etablieren, Partnerschaften zwischen Unternehmen und Kommunen ausbauen und Industrieflächen optimal vermarkten – dasalles zusammen verlangt quasi einenkommunalen Paradigmenwechsel: Integrieren statt Verdrängen.Ziele des VDI-Fokusthemas1. Produktions- und Logistikstandortemüssen stadtnah (wieder) möglich sein.2. Unternehmen, Stadtverwaltung und Behörden müssen insbesondere in denBallungsräumen Wohnen und Arbeitenin räumlicher Nähe möglich machen. Zielgruppen sind Unternehmen – auchkleine und mittlere Unternehmen (KMU)und dort auch die Ingenieure, dennständiger Dialog und Kommunikationsind für urbane Produktions- und Logistikunternehmen unverzichtbar: sie benötigen Unterstützung beim Aufbau bzw.bei der Weiterentwicklung eines intensiven internen und externen Stakeholdermanagements in Unternehmen. Zielgruppen sind auch die Kommunalund Stadtverwaltungen, denn eine kommunale Beteiligungskultur schafft Vorteile im Standortwettbewerb; sie müssen sich einsetzen für die Belange derKMU aus der Produktion und Logistik. Zielgruppen sind damit auch die (Ober-)Bürgermeister, die Bau-/Wirtschafts- undUmweltdezernate, die Wirtschaftsförderer, die Genehmigungsbehörden, die Lokalparlamente und -fraktionen, Regierungspräsidenten bzw. Dezernate derregionalen Bezirksregierungen Und zuletzt auch die sog. allgemeineÖffentlichkeit und die Medien, denn dieurbanen Produktions- und Logistikstandorte sind wichtig für die Stadt der Zukunft; diese Zielgruppe muss sensibilisiert werden für die Vorteile urbanerProduktion und Logistik (und nicht nurfür die Nachteile), damit eine Re-Integration erfolgreich funktioniert.Dipl.-Ing. Jean HaeffsGeschäftsführer VDI Gesellschaft GPL,DüsseldorfTechnik in Bayern 01/2019

SCHWERPUNKTUnser Ziel ist das ganzheitlicheKonzeptTiB: Das VDI Jahresthema wurde aus denErgebnissen einer unabhängigen Studie derVDI-Gesellschaft Produktion und Logistik(GPL) entwickelt. Können Sie für unsere Leser die Ergebnisse kurz zusammenfassen,und wie interpretieren Sie diese?Prof. Johannes Fottner: Diese Studie wurde schon 2012 entwickelt aus der Fragestellung: Was sind eigentlich wichtigeStandortfaktoren für den Wirtschaftsstandort Deutschland 2025. Eine der ersten Erkenntnisse war, dass wir niemals einreiner Engineering-Standort sein werden,sondern immer die Kombination aus Engineering und Wertschöpfung. Dann hat mansich gefragt, was das eigentlich bedeutetund daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet. Sehr schnell wurde klar, dass wirheute in einer Gesellschaft leben, in derwir zwischen Produktion und Menschenzu sehr unterscheiden. Produktion ist aberimmer eng verbunden mit Menschen, obals Arbeitskräfte oder als Kunden, und wirdes auch über sehr lange Zeit noch bleiben.Als logische Konsequenz ergab sich dannsehr zügig der Gedanke „Produktion undLogistik in der Mitte der Gesellschaft“. Wirwollen die Menschen – sprich die Arbeiter– mit der Produktion – sprich den Arbeitsplätzen – wieder zusammenführen. Damitist gemeint, Produktions- und LogistikeinTechnik in Bayern 01/2019Fotos: Silvia StettmayerWir sprachen mit Prof. Dr.-Ing.Johannes Fottner, Inhaber desLehrstuhls für FördertechnikMaterialfluss Logistik (fml)der TU München, und Stellvertretender Vorsitzender derVDI-Gesellschaft Produk tionund Logistik (GPL) über dieHerausforderungen des VDIJahresthemas „Produktion inder Mitte der Gesellschaft“.heiten so zu gestalten, dass sie wiederkompatibler sind, sowohl was die Technikakzeptanz der Menschen betrifft, als auchvon Seiten der Technologie. Die Vorstellung der Menschen ist, stadtnah zu lebenund da müssen unserer Meinung nachauch die Produktionen stattfinden. Und esgeht noch eine Stufe weiter: Die Verbraucher sind heute gewöhnt, dass wir Verteilprinzipien haben, die auch sehr weit in denurbanen Raum reichen, sprich wir wollennicht nur Läden, sondern auch Distributionszentren haben. Wir wollen die Dinge daverfügbar haben, wo wir sind. Wenn dasVerteilzentrum in einer Region ist, wo zwargroße Flächen, aber weder Kunden nochArbeitskräfte sind, dann macht das wenig Sinn. Wir müssen sicherstellen, dassdie gesamte Warenversorgung von derProduktion bis zur Distribution zum Endkunden in erreichbaren Entfernungen, alsodem stadtnahen Raum stattfindet.TiB: Ist dies heute nicht ausreichend gewährleistet?Prof. Fottner: Nein, diese Nähe ist zur Zeitbei weitem nicht ausreichend. Momentanhaben wir noch die Tendenz, alles, was mitProduktion zusammenhängt, möglichstweit weg vom Menschen zu verlagern.Produktion wird meist mit Störungen, mitUmweltbelastungen, mit viel Verkehr verbunden. Aber unsere Aufgabe ist es, unsGedanken darüber zu machen, wie wir diese Produktion und die Ver- und Entsorgungdieser Produktion so umwelt- und sozialverträglich wie möglich gestalten, damitwir sie wieder näher bei den Menschenansiedeln können.TiB: Ein Schwerpunkt an Ihrem Lehrstuhl istdie Technische Logistik. Welche Herausforderungen ergeben sich für diesen Bereichaus dem VDI Jahresthema?Prof. Fottner: Die Herausforderungen sindvielfältig. Wir versuchen gerade an der TUMein sehr großes interdisziplinäres Projektzu starten, das sich mit diesem Mobilitätsgedanken beschäftigt. Und wenn wir vonMobilität sprechen, dann gehört natürlichWarenversorgung dazu. Lassen Sie esmich so sagen: Wie kann ich es schaffen,eine sig-nifikante Menge von Menschen zuden Fabriken zu bringen, die wiederum ineiner Umgebung von Menschen sind undanschließend die Waren von dort wegzubekommen und wieder zu den Menschen zubringen, ohne dass Beides den Menschenfürchterlich auf die Nerven geht? Das istin der Logistik ein großes Thema, denn esist die enge Verknüpfung von spannendenTechnologien mit effizienten Prozessen.9

Und Logistik wird sich jetzt sehr stark alsprozessorientiert verstehen. Unsere Aufgabe ist, Logistik so zu optimieren, dassman Effizienz erreicht und wenn man diesjetzt noch koppelt mit moderner, guter,vernetzter Technologie, die diese Effizienzen nochmals unterstützt, dann hat mansehr flexible und schlagkräftige Optionenzur Realisierung. Wir möchten in diesemForschungsvorhaben die Mobilität in Ballungsräumen generell darstellen, vom Kuriertransporter über den Individualverkehrbis zum öffentlichen Nahverkehr. Das sollals eine Einheit dargestellt werden und dieÜberlegung geht dahin, wie man das steuern und abbilden kann. Das ist sicherlichein sehr wichtiges Thema, dem wir uns inZukunft stellen, auch vor dem Hintergrund,was denn eigentlich die richtigen Verkehrsträger sind. Fahren wir mit großen Trucksoder mit kleinen dezentralen, vielleicht autonom fahrenden Einheiten? Wir brauchenhier ein Portfolio unterschiedlicher Technologien. Denn Technologie steht nie alleine, sie funktioniert in einem Prozess unddas muss man alles zusammenführen.Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es,Organisationsstruktur im Prozess mitTechnologie zu verheiraten.TiB: Erforschen Sie diese Abläufe vorwiegend auch durch Simulationen?Prof. Fottner: 75% unserer Forschungerfolgt sehr eng mit realen Partnern, meistIndustrieunternehmen und anderen Forschungseinrichtungen. Unsere Forschungsarbeit ist extrem interdisziplinär, d.h. wirbrauchen die Elektrotechniker um vernünftige Sensoren und Motoren zu entwickeln,die Informatiker um programmieren zukönnen, wir brauchen die Betriebswirtschaftler, damit wir Optimierungsverfahren anstoßen können und auch, um dieWirtschaftlichkeit errechnen zu können,die Mathematiker und die Ergonomen,damit unsere Produkte auch nutzbar sindund auch Psychologen und Soziologen, diedie Auswirkungen der Technik beurteilen.Natürlich machen wir sehr viel Methodisches anhand von Simulationen, aber am10Ende kann man nicht alles simulieren.Überspitzt ausgedrückt sind wir noch nichtganz fertig mit der Industrie 4.0. Wir habennoch den einen oder anderen Menschen,der kommissioniert, der Dinge beschafft.Die Fragestellung lautet: Wie helfen wirdiesem Menschen und welche Technologien müssen wir entwickeln, die diesenMenschen in diese vernetzte Welt mit einbinden? Diese Technologien muss ich aberanschließend testen und dann stellen sichFragen wie: funktioniert das überhaupt?Ist das ergonomisch? Ist das intuitiv? Wirhaben einen demographischen Wandelund ich muss auch stärker auf Leistungsdefizite von Menschen eingehen. Das alleskann ich tatsächlich nicht in der Simulation. Dazu brauche ich dann Feldtests undStudien; alle Instrumente, die man aus derWissenschaft kennt. Und dass wir die ganze Bandbreite abbilden können – von dertheoretischen Modellbildung, der Simulation, von analytischen Formeln bis hin zuden Assistenzsystemen am Gabelstapler,die in der Halle getestet werden und neuenBeladeprinzipien, mit denen ich Menschenren und ich habe 99% autonom gesteuerte Fahrzeuge, die ich perfekt koordinieren kann. Unser Problem heute ist dochdieser Wandel. Wir gehen vom heutigenZustand 0 in einen Zustand 1 in 100 Jahren und dieser Übergang ist ungeheuerschwer. Und für diesen Übergang brauchen wir sicher dreimal so viel Technik,wie für den Zustand 1 selbst.Und Technologie alleine reicht hier nichtaus, sondern wir brauchen vernünftigeProzesse und Organisationsstrukturen.Nehmen Sie das Thema Energiewende:Firmen können vielleicht dann gar nichtmehr so produzieren wie heute, weil derStrom nicht mehr jederzeit zur Verfügungsteht. Aber wenn ich jetzt flexible Konzepteanwenden möchte, dann können dochmeine Mitarbeiter nicht 120 km aus demUmland an ihren Arbeitsplatz pendeln.Alleine um diese Flexibilität darstellen zukönnen, brauche ich eine gewisse Nähe.TiB: Der Individualverkehr stellt ein signifikantes Problem dar. Wie sieht es beim immer weiterwachsenden Warenverkehr aus?„Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es,Organisationsstruktur imProzess mit Technologie zu verheiraten.“unterstützen kann, das alles macht die Arbeit an diesem Lehrstuhl so spannend.TiB: Gibt es denn schon Modellvorstellungen, die Städte in punkto Warenfluss undLogistik optimieren?Prof. Fottner: Diese Konzepte gibt es, abersie beziehen sich meist auf Modellstädteund bedingen quasi eine völlige Umstrukturierung der Infrastruktur. Bei gewachsenen Städten muss man die Technologienin der vorhandenen, aber optimierten Infrastruktur nutzen.Wenn Sie den Zeitraum heute in 100 Jahren annehmen, dann ist die Lösung einfach, denn dann gibt es autonomes Fah-Prof. Fottner: Für die älteren Generationenwar das eigene Fahrzeug zu bewegen Ausdruck der Freiheit, sprich: „Der Weg ist dasZiel“. Wir müssen von dieser Individual entscheidung weg. Die junge Generationkommt hoffentlich zu der Erkenntnis, dassdas Ziel das Ziel ist. Denn auch die Mobilität im urbanen Raum verändert sichbereits. Beim Warenverkehr wird schonuntersucht, ob es wirklich notwendig ist,dass jede größere Kette ihren eigenenKurierdienstleister hat. Die Realität ist ja,dass heute viele Ziele mehrmals am Tagangefahren werden. Hier bräuchte ich eigentlich verpflichtende Koordinationen,die sicherstellen, dass man für einen beTechnik in Bayern 01/2019

SCHWERPUNKTstimmten Straßenzug an einer bestimmten Stelle noch einmal umverteilt.TiB: Wie könnte das realisiert werden?Prof. Fottner: Das Zukunftsszenario siehtwohl so aus, dass der Kurierdienst mirWaren bringt, die ich online bestellt habe.Das ist schon heute der Hauptgrund, warum wir mit LKW und Transportern innerstädtisch unterwegs sind. An welchemOrt ich diese große Menge umverteile, istunerheblich, aber dann geht es um die bereits angesprochene Wahl der richtigenVerkehrsträger, die die große Menge dahin bringt, wo die Menschen leben. Diesemöglichen Konzepte der Warenverteilungversuchen wir gerade gemeinsam mit denVerkehrswissenschaftlern und den für dieInfrastruktur verantwortlichen Bauingenieuren und den Informatikern und denMaschinenbauern durchzurechnen.TiB: Die Verkehrsströme der Mitarbeiterkönnte man aber auch optimieren?Prof. Fottner: Durch die räumliche Nähedes Mitarbeiterstammes wäre schon vielgewonnen und vielleicht ließe sich dasauch mit einigen Infrastrukturmaßnahmenkombinieren. Beispielsweise könnte mandie Distribution der Waren gleich in der Umgebung von größeren Fabriken ansiedeln,um einen effizienteren Warenumschlagzu haben. Unser Ziel ist es, die natürlicheNähe von Mensch und Produktion wiederherzustellen und nicht das Gegenteil, dassich beide extrem weit voneinander entferne. Und wir wollen die Warenverteilung indas Konzept mit einbeziehen.Ganz wichtig ist auch, dass man mit vernünftigen Infrastrukturmaßnahmen, dienicht immer nur Straßen und Parkplätzeheißen, ein vernünftiges Mobilitätskonzeptunterstützt. Dies ist ein Kernpunkt desKonzeptes Urbane Produktion und Logistik.Es gilt ganzheitlich Produktion, Technologie, Warenversorgung, Warenentsorgungmit Infrastrukturmaßnahmen und Mobilitätskonzepten zusammenzubringen. Nurwenn ich das als gesamtheitliches Systemsehe, wird es funktionieren. Und dazuTechnik in Bayern 01/2019muss ich Städte nicht umbauen, sondernich muss in bestehenden Städten sinnvolle Konzepte auch für Gewerbe treibendeund Industrie entwickeln.TiB: Es gibt viele Gründe, warum

Hohenlindener Straße 1, D-81677 München Tel.: (0 89) 91 07 21 10, Fax: (0 89) 91 07 23 09 www.vde-suedbayern.de, E-Mail: [email protected] Titelbild: Grafik: VDI GPL HOCHSCHULE UND FORSCHUNG VDI-TUM Expertenforum: Spannung im 3D-Druck 28 Andrea Voit, TU München IN